Komprimiertes Leben

1. Die komprimierten Kleinigkeiten

Wir leben kompakt. Zumindest ist das der neue Trend, wenn ich mich so umschaue. Tragbare Mini-DVD-Player mit 10-cm-Bildschirmen für das „Kinoerlebnis unterwegs“. Kleinste MP3-Player, die durch jedes Loch in der Hosentasche schlüpfen. Mobiltelefone mit integrierter Digitalkamera, Videoabspielmöglichkeit, Adressverwaltung, Terminkalender usw.. Vielleicht werde ich aber auch einfach nur größer. Denn nur so kann ich mir erklären, dass in manchen Gaststätten die Gläser und Portionen auch kleiner werden. Dummerweise beschränkt sich diese Verkleinerung nicht nur auf Dinge, die wir berühren können.

2. Der komprimierte audiophile Genuss

Auf den Apple iPod (ein tragbarer MP3 Player) passen je nach Speicherkapazität bis zu 10.000 Musikstücke. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, zehntausend! Selbst wenn ich alle meine CDs in MP3 Format umwandeln würde, käme ich gerade mal auf 6000 Stücke. Natürlich komprimiert, wohlgemerkt. Das wären bei durchschnittlich 3,5 Minuten pro Lied insgesamt 350 Stunden Musik. Wann bitteschön soll ich das denn alles hören?

Wir beurteilen gerne den Musikgeschmack anderer über die Musik, die sie hören, aber wir beurteilen nicht wie sie die Musik anhören.

„Hast du keine gescheite Musik“, ist ein immer wieder gern gehörter Spruch. „Aha, was ist denn deiner Meinung nach „gescheite“ Musik?“

„Na hier, schau mal auf meinem Notebook, alle Platten von Toto in bester Qualität. Ich schließe einfach den Notebook an meinen Verstärker an und kann stundenlang Musik hören.“

Was für ein Widerspruch! Nicht das ich etwas gegen MP3 oder sonstige Formate hätte. Für Parties oder nebenbei ganz nett. Als Ersatz für Musik von Platte oder CD aber völlig indiskutabel. Ach, ich vergaß. Musik kann man sich ja jetzt „kostenlos“ aus dem Internet herunterladen.

Gut für meinen komprimierten Geldbeutel.

3. Der komprimierte Heimkinogenuss

Nachdem man im Internet nicht nur „günstig“ an Material fürs Ohr kommt, ist nun auch noch für das Auge gesorgt. Die neusten Kinohits in bester Qualität, frisch abgefilmt von der Leinwand in Stereomono, jawohl!

„Hast du schon den neuen Jet Li gesehen, habe ihn schon drei Wochen daheim liegen.“

„Und, wie ist er?“

„Weiß ich nicht, das Bild war zu dunkel, aber ich hab dir mal eine Kopie gemacht. Was man hat, das hat man! Hier, zwei CDs.“

Oh man, was soll das? Wenn ich mir meine Augen kaputt machen will, dann lese ich im Dunkeln. Da werden Hunderte von Euro in 70cm/100Hz Fernseher investiert. Darunter im Regal steht der Dolby Digital 5.1/DTS Verstärker (ist übrigens schon wieder veraltet) mit Lautsprechern an Decken, Wänden und sonstwo um dann eine CD in meinen Highend DVD-Player einzulegen, die ich mitten im Film wechsle um das matschige Bild auf der zweiten fortzusetzen. Der Fortschritt hat gesiegt, die komprimierte Kombination aus Bild und Ton ist vollendet.

Liegt es an unserem Wesen, uns immer schneller mit weniger zufrieden zu geben, auf nichts mehr warten zu müssen und alles sofort zu bekommen? Passt doch zusammen, komprimierte Wartezeit.

Komprimierter G.

K.

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Datum: Freitag, 22. Juli 2005 22:01
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