Signale
„Oh Mann, fahr doch!“
Wieder wechselt die Ampel auf Rot. Seit 15 Minuten geht das nun so. Die Ampel wird grün und bevor er überhaupt dazu kommt los zu fahren, schaltet sie wieder auf Rot. Seit man vor einer Woche beschlossen hatte, eine Baustelle auf seinen Arbeitsweg zu platzieren, benötigte er fast 1,5 Stunden für die einfache Stecke von 25 Kilometern.
„Ich will nach Hause, gib Gas!“
Dazu kommt heute noch das nervige Geblinke mit dem Bremslicht des Fahrzeugs vor ihm. Immer, wenn alles zum Stehen kommt, fängt dessen Fahrer an, mit dem Bremslicht zu spielen. Bei jedem Stopp das gleiche. Scheint ja ein tolles Lied zu sein, das da gerade im Radio läuft. Weitere zehn Minuten später und fünf Meter weiter kann er schon einen gewissen Rhythmus beim Vordermann feststellen. Da-da-da-damm-damm-damm-da-da-da. Immer wenn der Wagen zum Stehen kommt das Gleiche.
„Mensch du nervst, halt doch mal den Fuß still.“
Er lehnt sich zurück und schließt die Augen. Zwei Wochen soll es dauern, bis die Baustelle wieder weg ist. Noch zwei Wochen jeden Tag diesen Mist. Er hat ja schon eine andere Strecke ausprobiert. Doch nur mit mäßigem Erfolg. 20 Kilometer mehr und nur fünf Minuten schneller. Bei den Benzinpreisen ein Witz. Ein Hupen reißt ihn aus dem Traum. Während er seinen Überlegungen nachhing, hat sich die Schlange der Ampel tatsächlich um weitere zehn Meter genähert. Da-da-da-damm-damm-damm-da-da-da. Immer wieder.
Er lässt die Kupplung kommen und schließt langsam wieder auf. Dann packt er sein Handy aus und wählt die Nummer seines Kumpels. Ist doch egal ob man das darf oder nicht, er steht ja doch die meiste Zeit nur rum.
„Konrad hier, bei mir wird es ein bisschen später, ich stecke wieder an dieser beknackten Baustelle fest. Eine halbe Stunde wird’s schon noch dauern. Fangt schon mal ohne mich an.“
…
„Ja, ich tue mir auch leid. Dazu kommt noch, dass der Typ vor mir die ganze Zeit mit dem Bremslicht rumspielt. Da-da-da-damm-damm-damm-da-da-da. Muss echt was Fetziges sein.
…
„Was meinst du? Das SOS-Signal. Quatsch.“
…
„Ja, stimmt. Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. Immer wieder gleich, sobald er anhält. Vielleicht sollte ich mal vor gehen und fragen, ob mit seinem Fuß alles in Ordnung ist.“
…
„Nein, ich kann mich zurück halten. Ich mach‘ jetzt Schluss, wir schleichen hier weiter. Bis gleich.“
SOS. Kann das wirklich sein? Aber warum sollte jemand im Stau SOS mit dem Bremspedal blinken. Wenn etwas mit dem Auto wäre, würde man doch die Warnblinkanlage einschalten. Blödsinn! Noch eine Ampelphase und er kann abbiegen.
Das Hupen des Fahrers hinter ihm kann er durchaus nachvollziehen. Erst setzt er den Blinker und dann doch im letzten Moment weiter geradeaus zu fahren. Er muss Gewissheit haben.
„Kann man so bescheuert sein? Die machen sich da vorne einen Spaß und ich fall‘ auch noch drauf rein.“
Nur, wie soll er es anstellen? Einfach beim nächsten Halt nach vorne zu gehen und zu fragen, „Haben Sie Zuckungen im Bein?“, ist ja vielleicht doch ein bisschen dämlich.Kaum sind sie zum Stillstand gekommen, springt er aus dem Wagen und rennt nach vorne. Sofern man das durch die Scheibe im dämmerigen Abendlicht überhaupt beurteilen kann, sitzt hinter dem Lenkrad eine junge Frau von ca. 25 Jahren. Obwohl sie ihn eigentlich bemerkt haben müsste, richtet sie ihren Blick stur geradeaus. Der Mann neben ihr hat seinen linken Arm um ihre Kopfstütze gelegt, der rechte ist hinter seinem Bein verborgen. Konrad klopft an die Fahrerscheibe. Die Frau reagiert immer noch nicht. Er kann sehen, wie der Mann auf dem Beifahrersitz etwas sagt, woraufhin die Frau den elektrischen Fensterheber betätigt. Es ist nicht zu erkennen, ob sie Angst hat oder nervös ist. Statt ihn anzusehen, schaut sie weiter nach vorne und der Mann vom Beifahrersitz beugt sich zu ihm herüber.
„Ist etwas nicht in Ordnung?“
Konrad kommt sich so blöd vor. Sieht doch alles gut aus. Der Typ lächelt ihn freundlich an.
Sie hat wahrscheinlich mehr Angst vor mir als das hier etwas nicht stimmen könnte.
„Ich wollte ihnen nur sagen, dass Ihr linkes Bremslicht defekt ist. Sollten Sie mal reparieren lassen.“
„Oh, vielen Dank“, entgegnet der Beifahrer, „hat uns schon mal jemand gesagt. Ich habe die Ersatzlampe schon zu hause. Werde mich wohl heute Abend noch darum kümmern müssen, was denkst du Schatz?“ Mehr als ein, „Das wäre wohl gut.“, ist aber nicht von ihr zu hören.
„Na, dann weiterhin gute Fahrt und einen schönen Abend.“ Da ist die Scheibe aber auch schon wieder oben. Die beiden haben wohl gerade dicke Luft in ihrer Beziehung. Er rennt zurück, während die Ampel schon wieder auf Grün wechselt, springt ins Auto und schafft es weiter zu fahren, bevor hinter ihm wieder die Huperei losgeht.
So, was nun? Alles vergessen und auf dem kürzesten Weg zu seinen Kumpels oder Hinterher fahren und schauen was weiter passiert.
„Wahrscheinlich rufen die beiden gleich bei der Polizei an, weil sie denken ich verfolge sie. Womit sie gar nicht mal so unrecht haben.“
Irgendetwas machte ihn stutzig. Plötzlich ist ihm klar, was nicht stimmt. Das Rücklicht war nicht defekt und trotzdem hatte der Typ behauptet, er wüsste es schon und hätte eine Ersatzlampe im Haus. Jetzt ist er sich sicher das in dem Fahrzeug vor ihm etwas nicht stimmt. Nur was sollte er nun tun? An der nächsten Ampel kommt nach dem Stopp direkt wieder das SOS-Signal der Frau. Sie fahren nun langsam aus der Stadt heraus. Wie lange könnte er hinter den beiden herfahren, ohne das es zu sehr auffällt?
Er schnappt sich sein Handy und wählt die Nummer der Polizei.
„Guten Abend, mein Name ist Konrad Förster. Ich rufe vom Auto aus an und das mag sich jetzt blöd anhören, aber ich denke, dass die Frau in dem Fahrzeug vor mir in Schwierigkeiten ist. Immer wenn es zu einem Halt kommt, blinkt sie mit der Bremse SOS.“
…
„Ja, dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz, sobald sie zum Stehen kommt. Außerdem bin ich an einer Ampel schon mal nach vorne gelaufen und habe behauptet ,ein Bremslicht sei defekt, woraufhin der Typ in dem Auto behauptet hat, er wisse das schon und werde es zuhause direkt reparieren.“
…
„Nein, wie ich eben sagte, das Bremslicht ist nicht defekt. Das habe ich nur behauptet, weil ich sehen wollte, ob alles in Ordnung ist.“
…
„Die Frau hat nicht mit mir gesprochen. Der Mann hat sich zu mir rübergelehnt und mit mir gesprochen.“
…
„Nein, ich konnte keine Waffe sehen. Aber seine eine Hand hat er verdeckt gehalten, vielleicht hatte er dort eine Waffe.“
…
„Ich weiß, aber ich kann nur spekulieren, ob da vorne wirklich etwas passiert oder nicht. Wenn die Frau wirklich bedroht wird, wird sie mir das wohl kaum mit dem Kerl daneben erzählen.“
…
„Wir fahren gerade auf der L3006 aus Frankfurt in Richtung Oberursel.“
…
„Es muss doch eine Möglichkeit geben, dieses Auto von einer Streife unter irgendeinem Vorwand anhalten zu lassen!“
…
„Was soll der Mist? So ein Quatsch! Weder bin ich ihr eifersüchtiger Ehemann, noch habe ich sonst etwas mit den beiden zu tun. Ich denke, diese Frau ist in Gefahr. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll.“
…
„Dann lassen Sie es halt sein, ich werde jedenfalls weiter hinterherfahren. Irgendwann müssen die doch mal wo ankommen.“ Er wirft das Mobiltelefon auf den Beifahrersitz.
„So ein Depp! Als hätte ich nichts Besseres zu tun als hinter meiner Frau herzufahren.“ Was nun? Konrad hatte sich schon extra mehrfach überholen lassen, um nicht mehr so offensichtlich hinter den beiden zu sein. Er öffnet sein Handschuhfach und wühlt eine Karte der Umgebung heraus. Draußen ist es bereits so dunkel, dass er die Innenbeleuchtung einschalten muss, um auf der Karte etwas erkennen zu können. Soweit er während der Fahrt auf den Plan schauen kann, ist zu erkennen ,dass sie in der Zwischenzeit auf einer Umgehungsstraße sind. Er verfolgt die Strecke mit dem Finger weiter. Sie fahren in Richtung Naturpark. Was nun? Wenn der Kerl nun mit ihr in den Wald unterwegs ist. Wie sollte er der Frau beistehen? Er wählt wieder die Nummer seines Kumpels.
„Hallo Peter, ich bin’s wieder. Ja, ich weiß, aber ich fahre immer noch hinter dem SOS-Auto her.“
…
„Ich habe schon bei der Polizei angerufen. Der Trottel am Telefon hat mir aber nicht geglaubt. Er denkt ,ich wäre ein eifersüchtiger Ehemann, der seine Frau verfolgt.“
…
„Wir fahren gleich in den Naturpark. Was soll ich machen, wenn der Kerl die Frau wirklich in den Wald bringt? Ich habe weder eine Waffe noch bin ich der mutige Schläger.“
…
„Was, seit wann hast du einen Schwager bei der Kripo? Das ist ja ganz was Neues.“
…
„Ok, das wäre echt super. Wenn der mich auch für bekloppt erklärt, drehe ich sofort um und komme zu euch.“ Sie fuhren nun im Wald die Landstraße hinauf. Er hatte sich ein wenig zurückfallen lassen, seit das Fahrzeug zwischen ihnen abgebogen war. Seine Zweifel wurden langsam immer größer. Wenn er doch nur hätte sehen können, ob der Typ im Auto eine Waffe hat oder nicht! Wenn die Frau ihm doch irgendeinen Hinweis gegeben hätte! Aber was hätte sie schon tun sollen?
„Hallo, das Schwein verschleppt mich gerade in den Wald. Könnten Sie ihn bitte aus meinem Auto entfernen damit ich nach Hause fahren kann!“ Konrad muss über sich selbst lachen, als sein Mobiltelefon klingelt.
„Konrad Förster.“
…
„Ah, schön das Sie zurückrufen. Hat Ihnen Peter schon gesagt, worum es geht?“
…
„Ich fahre gerade auf der L3004 durch den Naturpark.“
…
„Ehrlich, Sie wollen wirklich eine Streife hinter mir her schicken? Da fällt mir echt ein Stein vom Herzen!“
…
„Ich habe nicht vor, mein Auto zu verlassen. Ja, ja, ich habe Sie verstanden, auf keinen Fall das Auto verlassen und alles verriegeln. Schon klar. Denken Sie, der ist so gefährlich?“
…
„Versprochen, mir geht ja jetzt schon die Klammer.“
…
„Ich lasse das Handy an. Meine Nummer haben Sie ja.“ Er legt auf. Jetzt geht es ihm schon besser. Nun ist er für alles Weitere nicht mehr verantwortlich. Die Polizei würde den Wagen stoppen und nach dem Rechten sehen. Peters Schwager würde ihm dann bestimmt Bescheid geben, ob wirklich etwas passiert war oder ob er nur wegen einer Phantasterei angerufen hatte. Als er um eine Kurve kommt, kann er gerade noch sehen wie der Wagen nach rechts in einen kleinen Waldweg abbiegt. Schnell schaltet Konrad das Licht aus und fährt langsam auf den Weg zu. Kurz davor bleibt er stehen. Er kann sehen, wie das Fahrzeug langsam mit Standlicht auf dem Waldweg weiter fährt und folgt ihm in den Wald. Dann greift er nach seinem Handy und drückt auf Rückruf.
„Förster hier. Sie sind nun in einen kleinen Waldweg abgebogen. Was soll ich jetzt machen? Die wollen vielleicht einfach nur ein bisschen Spaß haben und ich verfolge die beiden in den Wald.“
…
„Ich hab’s doch kapiert. Ich rühre mich nicht von der Stelle. Oh, ich glaube sie sind stehen geblieben.“
…
„Weiß nicht genau, circa 40 bis 50 Meter. Jetzt haben Sie das Licht ganz ausgemacht.“
Konrad schaltet den Motor ab.
…
„Ja, ich warte und tue nichts. Hören Sie, ich mache mir hier gleich in die Hosen und die da drüben vögeln wahrscheinlich nur. Mit Sicherheit bleibe ich genau da, wo ich bin.“
…
„Ich hoffe auch, Sie sind gleich da.“ Da sitzt er nun. Mit seinem Auto mitten im Wald und kommt sich vor wie ein Depp. Schlecht wird ihm jetzt auch noch vor Aufregung. Er öffnet seine Scheibe einen Spalt und lauscht nach draußen. Kein Gestöhne von einem Liebespaar, nur der Wind in den Bäumen und ein paar Geräusche die er nicht zuordnen kann. Doch dann hört er das Wimmern einer Frau. Er kann nicht hören, ob sie einfach nur weint oder auch etwas sagt. Was jetzt? Er soll, egal was passiert, im Auto bleiben. Plötzlich hört er ein Klatschen und dann das Aufschreien.
„Verdammt, ich muss doch was machen.“ Seine Hände zittern und die Beine fühlen sich an wie Gummi. Er nimmt seinen Regenschirm vom Rücksitz und öffnet leise die Fahrertür. Der Schirm beruhigt ihn irgendwie. Dieser gibt ihm ein wenig die Illusion von Sicherheit. So leise wie möglich nähert er sich dem Wagen. Als er nur noch zehn Meter entfernt ist, nimmt er hinter einem Baum Deckung. Vor dem Wagen erkennt er die Schemen des Mannes und der Frau. Sie kniet auf dem Waldboden und weint. Der Kerl hat sich mit den Händen an den Hüften vor ihr aufgebaut.
„Wir beide werden gleich unseren Spaß miteinander haben.“ Das Schwein lacht hämisch.
„Naja, zumindest ich werde meinen Spaß haben.“ Er hebt ihr Kinn an.
„Wer weiß, vielleicht hast du ja auch was davon. Rühr dich nicht vom Fleck. Ich würde dich sowieso gleich wieder einfangen. Muss nur noch mal kurz für kleine Jungs, bevor es losgeht.“ Er drückt ihren Kopf unsanft zur Seite weg und stolziert von ihr weg in den Wald.
„Denk dran, ich hab dich im Auge.“ Währenddessen schleicht sich Konrad immer näher, bis er hinter dem Wagen kauert. Als der Typ hinter einem Baum verschwindet, wagt er einen Versuch.
„Nicht erschrecken“, flüstert er. Die Frau zuckt furchtbar zusammen.
„Nicht zu mir sehen. Bleiben Sie einfach so sitzen und hören Sie zu. Ich versuche, Ihnen zu helfen. Wenn Sie mich verstehen können, geben Sie mir ein kurzes Zeichen.“
Die Frau wimmert ein wenig lauter.
„Gut, passen Sie auf. Wenn der Kerl zurückkommt, müssen Sie sich so drehen, dass er mit dem Rücken zu mir steht. Was auch immer passiert, er darf nicht in meine Richtung sehen. Haben Sie das verstanden?“ Sie weint weiter.
„Ok, dann tun Sie einfach, was er sagt. Ich werde Ihnen helfen, versprochen.“ Konrad schaut sich seinen Schirm an. Gebogener Plastikgriff. Damit kann er unmöglich etwas erreichen. Die Spitze jedoch ist aus Metall. Wenn er damit fest genug zustieß, könnte er den Mann so schwer verletzen, dass dieser nichts mehr würde ausrichten können. Leider schaut das Schwein genau in Richtung des Autos, als er wieder aus dem Wald kommt. So kann Konrad unmöglich etwas unternehmen. Die Frau jedoch beginnt sofort um ihren Peiniger herumzurutschen, so dass dieser zwangsläufig den Wagen aus dem Blick verlieren muss.
Sehr gut, du machst das, sehr gut, denkt Konrad bei sich. Jetzt wurde es Zeit etwas zu unternehmen. Die Frau wird bei den Haaren gepackt und auf den Boden gedrückt. Sie schreit dabei laut auf. Diesen Moment nutzt Konrad, um aus seiner Deckung auf die beiden zuzuschleichen. Der Mann liegt zwischenzeitlich schon auf seinem Opfer und versucht ihre Kleider zu zerreißen. Konrad nimmt den Schirm in beide Hände und hebt die Spitze nach oben. Er steht nun direkt hinter dem Mann und seine Hände zittern furchtbar, als er noch überlegt ,wo er zustoßen soll. Dann sieht ihn die Frau mit weit aufgerissenen Augen an und plötzlich lächelt sie. Nur einen kurzen Moment, bevor sich ihr Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzerrt. Dann schreit sie mit einer irren Stimme: „Jeeeeeeeetzt!“
Bevor Konrad reagieren kann, schaut der Mann zu ihm herum und tritt ihm mit voller Wucht in den Magen. Er klappt direkt zusammen und bleibt gekrümmt auf dem Boden liegen. Er bekommt kaum noch Luft. Die Frau ist aufgesprungen, dreht sich im Scheinwerferlicht des Wagens mit ihrer aufgerissenen Bluse im Kreis und schreit dabei: „Es hat geklappt! Endlich hat es wieder geklappt!“ Dann bleibt sie abrupt direkt vor Konrad stehen und neigt ihren Kopf leicht zur Seite. Sie schaut wütend auf ihn herunter.
„Es war nicht sehr nett uns so lange warten zu lassen.“
Sie schlägt ihm mit der Faust mitten ins Gesicht. Konrad schreit auf. Er versteht nicht, was hier gerade passiert. Was ist schief gelaufen? Der Typ geht neben ihm in die Hocke.
„Drei Monate haben wir auf eine neue Beute gewartet. Wir dachten schon, du wärst uns nicht gefolgt. Aber nun bist du ja hier. Einen weiteren Abend mit Lisas schlechter Laune hätte ich nicht überstanden. Sie wird so schnell aggressiv, wenn die Jagd nicht klappt. Ich im Übrigen auch.“
Konrad versucht noch auszuweichen doch der Schlag trifft ihn trotzdem seitlich am Kopf. Benommen liegt er am Boden. Die Schmerzen sind noch nicht einmal das Schlimmste. Es ist diese ohnmächtige Wut. Die Wut darüber, hereingelegt und in eine Falle gelockt worden zu sein. Er schreit die beiden an.
„Was soll dieser Mist? Sind Sie irre? Was wollen Sie von mir, ich wollte doch nur helfen, weil ich dachte, er will Ihnen etwas antun.“ Er schaut zur Frau. Sie schaut ihn hämisch an und kichert dann wieder mit diesem irren Gesichtsausdruck.
„Die Beute will Antworten.“, sie schaut den Typen an, „Gib du sie ihm. Aber mach schnell, ich will endlich meinen Spaß.“ Konrad zuckt zurück als der Schläger wieder neben ihm in die Hocke geht.
„Ich will es kurz machen. Lisa und ich fahren gegen Abend immer durch die Gegend und versuchen Beute zu machen. Am Anfang hat Lisa immer versucht, den anderen Autofahrern mit Blicken und Gesten irgendwelche Hilferufe zuzuwerfen. Leider war diese Methode nicht sehr ergiebig. In sieben Monaten hatten wir nur ein Opfer.“ Er macht eine abwertende Handbewegung.
„Und sie war noch nicht mal sehr ergiebig, weißt du noch Schatz? Wie dem auch sei. Irgendwann hatte Lisa die Idee mit dem Blinksignal. Was soll ich sagen, es war ein voller Erfolg. Nun machten wir alle zwei Monate Beute. Männer, Frauen. Wir lockten sie, wie dich, in eine abgelegene Gegend und dann aus ihren Autos. Allein schon die überraschten Blicke, wenn sie merken dass sie hereingelegt wurden, sind die Jagd wert. Naja, und dann haben wir unseren Spaß. Wie nun mit dir.“ Er tritt Konrad auf die Finger, so dass dieser wieder schreit. Lisa bekommt einen bedauernden Gesichtsausdruck.
„Sehr stabil scheint er mir ja nicht zu sein. Ich will diesmal aber lange meinen Spaß. Wer weiß, ob wir wieder drei Monate warten müssen.“ Die beiden beginnen wie die Wölfe um Konrad herum zu gehen. Sie ziehen Kreise um ihr Opfer. Trotz der Schmerzen wirft sich Konrad nach vorne auf die Frau zu und versucht sie ans Knie zu treten. Diese jedoch springt leichtfüßig zur Seite und lacht wieder mit ihrer irren Stimme. Im selben Moment tritt ihm der Mann von hinten in die Rippen. Konrad krümmt sich wieder auf dem Boden zusammen, während die Welt um ihn verschwimmt. Er ist so voller Wut, seine Arme und Beine zittern und langsam nimmt die Angst überhand. Der Mann tritt auf Konrads gebrochene Rippen, läuft über ihn als wäre er eine Treppe, packt seine irre Freundin und fast ihr mit der Hand in die aufgerissene Bluse, während er ihr mit weit geöffneten Mund einen Kuss gibt.
„Na los Lisa, du bist dran. Ich habe ihm nur zur Einstimmung ein bisschen weh getan. Du kannst das doch viel besser. Ich finde deine Ideen immer so … inspirierend. Das mit den Fingern beim letzten Opfer, einfach genial.“ Sie schaut auf die Beute herunter.
„Ich bin eine Künstlerin. Ich mache nie zweimal den gleichen Akt. Lass mich mal sehen, was hatte er wohl mit dem Schirm vor?“ Sie hebt den Schirm vom Boden auf und schaut sich die Spitze an.
„Das hätte wirklich gefährlich werden können. Stell dir nur vor, Schatz, er hätte dich damit erwischt. Das hätte weh getan. Ich mag es überhaupt nicht, wenn meinem Schatz weh getan wird.“ Verliebt schaut sie erst die Spitze und dann ihren Freund an, dieser nickt ihr zu. Langsam hebt sie den Schirm mit beiden Händen nach oben. Das Ende zeigt wie ein Pfeil auf Konrad. Sie kichert dämlich.
„Mal sehen wo wir ihn dir hinstecken.“ Der Kerl packt ihn brutal von hinten bei den Haaren, drückt ihn auf den Boden und setzt ein Knie auf seinen Hals. Konrad kann sich nicht mehr bewegen und er bekommt kaum noch Luft. Aus dem Augenwinkel kann er sehen, wie Lisa mit erhobenem Schirm näher kommt. Dann wird alles neblig. Sein Verstand setzt aus, seine Augen können kaum noch etwas erkennen und alle Geräusche dringen nur noch wie durch Watte zu ihm. Weit entfernt vernimmt er eine Stimme. „Polizei, nehmen Sie die Hände über den Kopf. Lassen Sie den Schirm fallen und gehen Sie beide von dem Mann weg, sofort!“ Lisas irres Geschrei dringt kaum noch zu ihm durch. Dann hat er das Gefühl, jemand stößt ihn am Bein und es klingt, als würde ein Buch zugeklappt. Als Konrad wieder zu sich kommt, liegt er bereits im fahrenden Krankenwagen. Der Sanitäter schließt ihn gerade an irgendwelche Apparate an. Ein Mann neben ihm spricht ihn an.
„Hallo Herr Förster, schön, dass Sie wieder bei uns sind. Ich bin Kommissar Grahler. Wir hatten miteinander telefoniert. Wie fühlen Sie sich?“ Konrad würde ihn am liebsten anschnauzen wie noch nie jemand im Leben. Ihn fragen, wo er so lange gewesen sei und warum man ihm nicht früher geholfen habe. Viel mehr als ein klägliches „Was ist passiert?“, kommt ihm aber nicht aus dem geschwollenen Hals.
Der Kommissar lehnt sich zurück.
„Wir waren relativ schnell hier in der Nähe, haben jedoch den Waldweg nicht gleich finden können. Sie haben zum Glück ihr Handy angelassen und da ich Ihre Nummer hatte, konnten wir es ungefähr orten lassen. Als wir dann am Tatort eintrafen und Ihr Wagen leer war, wusste ich, dass Sie den beiden in die Falle gegangen waren. Sie müssen wissen, dass wir diesem Paar schon seit circa zwei Jahren auf der Spur sind. Da sie ihre Opfer aber immer willkürlich wählten und wir nicht wussten, wie sie die Leute dazu bringen mit ihnen zu kommen, hatten wir nie Gelegenheit, sie zu ergreifen. Als ich mit Ihnen telefoniert hatte, wusste ich sofort, in welcher Gefahr Sie sich befinden. Hätte ich Sie jedoch gewarnt, wären Sie den beiden wahrscheinlich nicht weiter gefolgt und wir hätten sie wieder verloren. Das Auto war gestohlen und die beiden hätten es einfach im Wald stehen lassen. Wir wären wieder am Anfang gewesen.“
„Sie haben mich also als Köder für die Jäger benutzt“, krächzt Konrad.
„Wenn Sie es so sehen wollen, ja. Ich kann mich dafür auch nur entschuldigen und es wäre beinahe schief gegangen.“ Konrad fasst sich an den Hals.
„Naja, ein geschwollener Hals geht ja noch.“ Der Kommissar schaut kurz zum Sanitäter.
„Um ehrlich zu sein, Lisa hat Ihnen den Schirm mit voller Wucht in den Oberschenkel gerammt. Zu ihrem Glück wurde sie hysterisch, als wir eintrafen. Ich vermute, sie wollte etwas anderes treffen.“ Konrad packt den Arm des Polizisten.
„Was ist mit den beiden passiert? Sie sind doch nicht entkommen, oder?“
„Nein, Lisa ist tot. Wir mussten auf sie schießen, da sie sich auf den Schirm gestützt hat. Den Mann mussten wir mit drei Beamten von Ihrem Hals zerren. Er ist in Gewahrsam.“
Konrad entspannt sich wieder.
„Ich bin nur froh, dass ich das alles nicht mehr mitbekommen habe.“
Der Kommissar schaut ihn an.
„Wissen Sie, woran man deutlich gesehen hat, dass diese Frau total irre gewesen sein muss? Während sie, von unseren Schüssen getroffen, auf Sie herunterrutschte, hat sie gekichert und dabei noch den Schirm geöffnet. Absolut bekloppt!“
© Kurt Waplinger 2008